#CoronaCooking (1): Back to the Roots

Julia Camerons The Artist’s Way legt nah, dass es förderlich ist, seine spielerische Seite wiederzuentdecken, um kreative Blockaden zu lösen. Das passt zu den Erfahrungen, die C. G. Jung in seinen Memoiren beschreibt: Er hatte eine Jahre anhaltende Schreibkrise, die er erst dadurch in den Griff bekam, dass er sich auf das zurückbesann, was er als Kind über Stunden tun konnte. In seinem Fall war das, mit Lehm zu bauen. Seine Frau Emma, eine unfassbar großartige Persönlichkeit, tat das, was gute Partner*innen tun: ihn in seinem Heilungsprozess zu unterstützen, so schräg es von außen möglicherweise aussah, wenn ein Ü40-er im Schlamm spielte. Aber whatever works.

Mir gefällt diese Idee, sich zurückzubesinnen, was einem als Kind viel Freude gemacht hat. Bei mir waren das Koch- und Backbücher. Ein Regal unseres Flurs war damit gefüllt, außerdem besaß meine Mutter einen Karteikasten mit zahllosen Rezeptkarten (auch so ein 1970-er Jahre-Hochzeitsgeschenk, vermute ich, oder zumindest ein bisschen Orientierung für die junge und entsprechend planlose Hausfrau. Übrigens auch völlig unterschätzt, dieser Erwartungsdruck, dass alles auf wundersame Weise funktionieren soll, nur weil man auf einmal verheiratet ist). Ich verbrachte zusammengerechnet vermutlich Wochen meines Lebens auf dem Läufer im Flur bei der Lektüre von Rezepten für allerlei Köstlichkeiten. Klangvolle Zutaten wie „Hirschhornsalz“, „Kardamom“ und „Sternanis“ beschworen Weihnachten, den Orient und allerlei Geheimnis herauf und führten mich in Welten fernab meines Heimatdorfs, wo ich im Flur jedem, der durch musste, im Weg saß. Mehlspeisrezepte (was für ein herrlicher Name!) entführten mich in die k.u.k.-Monarchie („Sissi“ habe ich übrigens bis heute nicht gesehen, dafür fast den gesamten Rest des Schneider’schen Werks), mit den Anleitungen für Hausmannskost vom Labskaus bis zum Leberkäs in der Hand bereiste ich in Gedanken sämtliche deutsche Regionen; ich schwelgte in Rezepten für Torten, Rehrücken mit Korinthen und Wacholderbeeren und mehrstöckigen Dessertcremes, dekorativ in Gläser geschichtet und mit Zitronenmelisse verziert. Das Rezept für französischen Apfelkuchen kannte ich, bevor ich zum ersten Mal einen Fuß außerhalb der Grenzen Deutschlands gesetzt hatte.

Gekocht habe ich übrigens relativ wenig, und wenn, dann eher frei Schnauze; das habe ich auch lange Jahre so fortgeführt. Dafür habe ich als Kind umso lieber gebacken, und da in unserer weitläufigen Familie, die sich regelmäßig besuchte, zahlreiche Feste anstanden, war das auch immer gern gesehen. Eine liebe Freundin von mir formulierte es mal sehr treffend, dass in ihrer Familie die Zuneigung durch exzessive Nahrungsbereitung Ausdruck findet; und ich glaube, das ist in meiner ähnlich, zumindest mütterlicherseits, wo sich die meisten Frauen gegenseitig in ihrer Koch- und Backkunst überboten, um sich im nächsten Schritt über gemeinsame Bekannte auszutauschen, die wahlweise „zoojehollt“ oder „aafjehollt“ hatten. (Diese fundamentale Ambivalenz ist vermutlich einen eigenen Beitrag wert. Oder fünfzehn.)

Von meinen zahlreichen Begabungen fand insbesondere die kulinarische höchste Wertschätzung bei meiner in dieser Hinsicht durchaus anspruchsvollen Verwandtschaft. Vermutlich deshalb, weil das Ergebnis so unmittelbar greifbar war: Der Kuchen schmeckte oder nicht. (Meine fabulöse Tante L. hat hierzu ein vortreffliches Set statistischer Prädiktoren ermittelt: Butter, Sahne, Schokolade, Zucker sagen die Qualität des Produkts positiv vorher, Magerquark, -joghurt und Halbfettbutter eher negativ. Eine Ausnahme ist der legendäre Fagyiszelett meiner Ex-Schwiegermama, dessen Buttercreme sie einmal, als ihr ältester Sohn Diät machte, mit Halbfettbutter zubereitete, was den Vorteil hatte, dass man von der sonst eher mächtigen Torte doppelt so viel essen konnte.)

Als ich unlängst also überlegte, was mir früher viel Spaß gemacht hat, was ich in den letzten Jahren aber sehr vernachlässigt hatte, fiel mir nach einigem Überlegen das Kochen und Backen ein. Im Gegensatz zu diesen Aktivitäten selbst hat meine Leidenschaft für Koch- und Backbücher über die Jahre nicht nachgelassen; meine umfangreiche Sammlung aus aller Herren Länder erstaunt Besucher*innen immer wieder, vielleicht auch, weil ich wenig daraus mache. Man hat ja so seine zehn Standardrezepte, die man auch nach einem Vierzehn-Stunden-Arbeitstag noch im Halbschlaf zusammenrührt, um sich vor dem Schlafengehen noch ein paar Kalorien auf die Rippen zu packen. Aber dass ich es könnte, wenn ich wollte, ist vermutlich der Punkt. Man speist ja auch nicht jeden Tag von seinem Sèvres, wie, glaube ich, André Gide sagte.

Also: Kochen heißt die neue alte Leidenschaft. Backen wäre auch toll; aber da wir nur zu zweit sind, coronabedingt keinen Besuch empfangen können (haha, top Ausrede) und entsprechend für einen Kuchen dann doch etwas länger brauchen würden (obwohl …), lag Kochen näher. Da jeden Tag gekocht wird, kann man das ja auch schön machen. Und so essen wir uns nun durch Yotam Ottolenghis Plenty und erproben täglich ein Rezept, manchmal auch mehrere. Mit frischen Kräutern, für die ich mittlerweise sogar einen kleinen Garten angelegt habe; Gemüse ist in Anzucht.

Und was soll ich sagen: Bislang hat wirklich alles geschmeckt. Ich würde nicht alles noch mal zubereiten wollen (Tofu frittieren ist echt übelste Sauerei, zum Glück haben wir eine klare Arbeitsteilung zwischen Kochen und Saubermachen), aber ein paar echte Knaller sind schon dabei. Die Limettenbutter zu den Pfannkuchen wird ins Repertoire übernommen, ebenso der Royal Potato Salad, mein erster Versuch mit Wachteleiern (an Schönheit und Niedlichkeit kaum zu überbieten!). Die Shakshuka heute morgen zum Frühstück war auch echt gut, ganz anders als das ebenfalls ziemlich fabelhafte Rezept der Kaltmamsell, eher ähnlich dem, was wir in einem israelischen Restaurant in Krakau gegessen hatten und vermutlich authentischer (wobei das als Qualitätsmerkmal aus meiner Sicht auch überbewertet ist. ‚S muss schmegge, wie der Hesse sagt). Gerade ist die Aubergine fertig geröstet; über die blogge ich dann später, denn der Plan ist, meine Kocherfahrungen und meine Gedanken über das Kochen und Essen zu verbloggen. Als tägliche Fingerübung im Schreiben, weil ich das viel zu wenig mache. Und wenn man schon täglich isst, kann man auch täglich über sein Essen schreiben. Wer mag, kann dann auch täglich darüber lesen.

P.S.: Amazon weiß, dass ich das Buch am 28. Juli 2011 gekauft habe. Manche Dinge müssen wohl einfach auf den richtigen Zeitpunkt warten. Aber genau deshalb ist es wichtig, dass man sie dann auch da hat, wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist.

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